... und trotzdem eine gesunde Beziehung zu ihren Kindern aufrechterhalten können.
In der Welt der Elternschaft gibt es eine breite Palette an Emotionen, die von unermüdlicher Liebe und Freude bis hin zu Wut und Frustration reichen. In diesem Blogbeitrag möchte ich mich auf ein Thema konzentrieren, das zwar viele Mütter betrifft, über das aber wenig gesprochen wird: Mütterliche Wut, im Englischen auch „Momrage“ genannt.
Im Folgenden beschreibe ich, was Momrage ist, wodurch sie ausgelöst wird, und wie man am besten mit dieser legitimen Emotion umgehen kann, ohne die liebevolle Beziehung zu Kindern oder Partner auf's Spiel zu setzen.
Bitte beachte, dass ich davon ausgehe, dass die Wut sich nicht durch körperliche Gewalt äußert. In einem solchen Falle sollte dringend professionelle Hilfe in Anspruch genommen werden - mögliche Anlaufstellen werden am Ende gelistet. Auch ich stehe dir hier jederzeit zur Verfügung!
Was ist "Momrage"?
Momrage ist eine absolut normale Emotion, die viele Mütter erleben, aber häufig aus Scham nicht thematisieren. Es ist ein intensiver Zustand, in dem eine Mutter von Wut und Frustration gegenüber ihrem eigenen Kind, ihrem Umfeld oder sich selbst überwältigt wird - einhergehend mit dem subjektiven Gefühl nicht "gegensteuern" zu können und dadurch einen Kontrollverlust zu erleiden.
Eine Mutter, die Momrage empfindet, kann diese gegen ihr Kind, ihren Partner, ihr familiäres Umfeld, aber auch gegen sich selbst richten!
Häufig wird Momrage mit "Postpartum Rage" gleichgesetzt, wobei das englische Wort „postpartum“auf Deutsch postnatal bedeutet. Postnatale Wut kann eine Mutter nach der Geburt ihres Kindes empfinden - recht häufig ist dies Bestandteil einer postnatalen Depression. Letztere muss nicht immer zu Trauer und Antriebslosigkeit führen, sondern kann sich auch durch Wut äußern - ausgelöst durch Hilflosigkeit, Überforderung oder Reizüberflutung.
Ich wähle hier allerdings explizit das Wort Momrage, weil diese Art von Wut genauso gut später in der Mutterschaft mit älteren Kindern auftreten kann und nicht nur auf die postnatale Zeit beschränkt ist. Die Wut kann ihre destruktiven Kräfte also in jeder Lebensphase und in alle Richtungen entfalten. Sie erscheint für die Mutter nicht zu bewältigen - häufig einhergehend mit Scham- und Schuldgefühlen im Nachgang zu einer "Eruption".
Die Auslöser von Momrage identifizieren
Um sich mit Momrage auseinanderzusetzen, müssen im ersten Schritt mögliche externe und/oder interne Auslöser ("Trigger") identifiziert werden, die einzeln oder gemeinsam auftreten können.
Externe Trigger
Zu den externen Auslösern gehören beispielsweise wiederholtes ungehorsames Verhalten oder nicht zu erklärende Schrei- und Trotzphasen des eigenen Kindes. Grundsätzlich können aber alle Herausforderungen in der Erziehung und Betreuung eines Kindes sowie dem Management des Alltages triggernd sein. Vermeintlich provokantes Verhalten des Partners, welches die Mutter als Unachtsamkeit gegenüber sich selbst oder dem gemeinsamen Kind wertet, kann genauso einen externen Auslöser darstellen, wie ein eigentlich banaler Konflikt mit einem Fremden auf offener Straße.
Bei externen Auslösern werden also häufig Personen oder externe Umstände für die eigene Misere "verantwortlich" gemacht - aus dem Affekt heraus auch manchmal das eigene Kind, obwohl es noch keine Verantwortung tragen kann.
Wer kennt sie nicht? Die Mutter, die auf offener Straße oder im Supermarkt "die Kontrolle verliert", weil sich ihr Kind schreiend auf dem Boden wälzt und mit den Fäusten auf den Boden schlägt? Wer kann es ihr verübeln, dass sie sich am liebsten daneben legen und das Gleiche tun möchte? Stattdessen brüllt sie. Ein klassischer Fall von Momrage.
Interne Trigger
Zu den internen Triggern, die das Gefühl von Momrage begünstigen können, gehören:
niedrige Frustrations- und Stresstoleranz
unzureichende Mechanismen der Emotionsregulation
ungelöste Konflikte in der Partnerschaft
subjektiv wahrgenommene Ungerechtigkeit
intensive Ohnmachtsgefühle und Hilflosigkeit
hoher "mental load" im Vergleich zum Partner
schnelle Reizüberflutung ggf. verursacht durch Hochsensibilität
akuter Schlafmangel bzw. -störungen
bestehende oder vergangene Depressionen oder Angsterkrankungen
unverarbeitete Traumata aus der eigenen Kindheit
hormonelles Ungleichgewicht
Auf die letzten beiden dieser Punkte möchte ich noch kurz näher eingehen:
Traumatische Erinnerungen aus der eigenen Kindheit können in der eigenen Mutterschaft durchaus eine Rolle spielen. Wurde man beispielsweise selbst als Baby beim Schreien häufig alleine gelassen oder als Kind regelmäßig angebrüllt, kann dies ein unverarbeitetes Entwicklungstrauma darstellen, das nun zu einem internen Trigger gegenüber dem eigenen Kind mutiert ist.
Der Hormonhaushalt von Frauen ist hochkomplex und seine Relevanz wird immer noch häufig unterschätzt. Unumstritten ist, dass er nach der Geburt eines Kindes in ein Ungleichgewicht geraten kann, welches Momrage begünstigt. Aber auch während der Perimenopause oder Menopause (häufig parallel zu den bekanntlich schwierigen Teenager-Jahren der Kinder) kann dies der Fall sein. Somit sind Hormone ein nicht zu unterschätzender Faktor für mütterliche Wut in unterschiedlichen Phasen der Mutterschaft und sollten ggf. bei einem Endokrinologen abgeklärt werden.
Die Hilflosigkeit einer Mutter gegenüber ihrem Baby, das sich durch wirklich gar nichts beruhigen lässt, bis es nach stundenlangem Schreien irgendwann vor Erschöpfung einschläft, ist grenzenlos. Dass eine solche akustische und emotionale Reizüberflutung bei der Mutter in Wut münden kann, ist nicht verwunderlich.
Zusammenfassend hat also jede Mutter höchst individuelle und teilweise sogar multiple Auslöser für Momrage. Der erste Schritt im Umgang mit Momrage ist das Erkennen und Verstehen dieser Trigger. Indem Mütter sich bewusst machen, was sie triggert, können sie sich besser darauf vorbereiten und ihre Reaktionen besser kontrollieren.
Welche Bewältigungsstrategien gibt es gegen Momrage?
Sind die Trigger erst einmal identifiziert, stehen der betroffenen Mutter unterschiedliche psychologisch fundierte Bewältigungsstrategien zur Verfügung (außer im Bezug auf hormonelle Trigger, diese müssen ärztlich abgeklärt werden). Manche dieser Strategien können - mit Übung - in dem Moment der Überforderung und vor der Eruption angewandt werden (kurzfristige Strategien). Manche dieser Strategien helfen, erst gar nicht in ein Stadium der Überforderung zu gelangen (langfristige Strategien).
Ich empfehle ausdrücklich - genauso wie bei einer postnatalen Depression - zumindest eingangs psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen. So kann die Mutter am schnellsten effektive Strategien für sich selbst entdecken und einüben, während etwaige Gründe für Momrage aufgedeckt und ggf. aufgelöst werden können.
Kurzfristige Bewältungsstrategien: Mentale Erdungstechniken
Es gibt Methoden, um dich aus einem eskalierenden Gedankenstrudel zu lösen und wieder im Hier und Jetzt zu verankern. Die besten mentalen Erdungstechniken (diese kannst du bei Bedarf auch laut sagen) sind:
Umgebungsbeschreibung
Beschreibe deine Umgebung gedanklich oder verbal detailliert und gehe dabei auf möglichst viele deiner Sinne ein. Wenn du einen Stuhl siehst, denke an die Farbe und das Muster des Stoffes, an die Form der Beine und das Material. Welches Geräusch macht der Stuhl, wenn man sich auf ihn setzt? Verbindest du einen gewissen Geruch mit seinem Material? Dies kannst du für beliebig viele Objekte wiederholen und dich so langsam wieder erden.
Alphabet-Kategorien-Spiel
Wähle irgendeine Kategorie und versuche damit verwandte Wörter zu identifizieren, die mit jedem Buchstaben des Alphabets beginnen. Wenn du dich zum Beispiel für "Lebensmittel"entscheidest, kannst Du an "Apfel, Brot, Champignons, Donut..." denken. Es spielt keine Rolle, welche und wieviele Kategorien du wählst: Tiere, Schauspieler, Kleidungsstücke usw. Die Konzentration wird dich dich von deinem wütenden Gedankenkarussell befreien!
Verankerungssätze
Verankere dich im Hier und Jetzt, in dem du gedanklich folgende Art von Sätzen sagst: "Ich heiße (Name) und ich bin (Zahl) Jahre alt. Ich wohne in (Stadt, Land). Heute ist Freitag, der 15. Mai. Es ist 17:18 Uhr nachmittags. Ich stehe gerade in meinem Wohnzimmer." Du kannst die Sätze beliebig erweitern, indem du weitere Details hinzufügst, bis du dich beruhigt fühlst, z. B.: "draußen wird es gerade langsam dunkel und ich habe Durst. Ich werde mir gleich eine schöne Tasse Tee machen."
Kurz-vor-Knapp Ansatz
Wenn du so getriggert bist, dass du keine dieser Techniken mehr abrufen kannst, probiere folgendes:
Mehrmals tief durchatmen und zwischendurch den Atem kurz anhalten.
Langsam von 20 rückwärts zählen, am besten in abwechselnden Sprachen (Muttersprache + Englisch z.b.).
Gehe zu einem Spiegel und lache dein Spiegelbild laut an oder ziehe eine Grimasse.
Wenn möglich, gehe 1-2 Minuten vor die Haustür, atme frische Luft ein oder fasse einen Baum an.
Wenn du aufgrund der Geräuschkulisse deines Kindes in eine Reizüberflutung gerätst, helfen gute Ohrstöpsel!
Langfristige Bewältigungsstrategien
Es gibt eine Vielzahl von Ansätzen, die dich längerfristig vor Momrage schützen können. In der Regel müssen sie aber außerhalb einer aktuten, triggernden Situation geübt werden, um ihren vorbeugenden Effekt entfalten zu können.
Achtsamkeit, Meditation und Sport
Die Praxis der Achtsamkeit ermöglicht es dir, deine eigenen Emotionen bewusst wahrzunehmen und zu erkennen, wenn sich Wut oder Frustration aufbaut. Durch das bewusste Erkennen dieser Gefühle, kannst du lernen, ruhiger zu reagieren und impulsives Handeln zu vermeiden.
Meditationstechniken können in einem ruhigen Moment erlernt und geübt werden, um so für mehr Ausgeglichenheit in heiklen Situationen zu sorgen. Sportlicher Ausgleich hilft "Dampf abzulassen", dein körperliches Gleichgewicht wieder herzustellen und frische Energie zu tanken. Hier kann je nach deinen individuellen Bedürfnissen alles von Yoga bis hin zu Kickboxen hilfreich sein.
Emotionsregulationstraining
Dies umfasst Techniken zur Identifizierung, Akzeptanz und Modulation von Emotionen und wird in der Regel von einem Psychologen begleitet. Du lernst, deine Gefühle zu benennen, ohne dich von ihnen überwältigen zu lassen.
Hier spielt die traumasensible Herangehensweise eine wichtige Rolle. Wut, Frustration, Hilflosigkeit, Ohnmacht und Schuld sind Emotionen, die wir auch in traumatischen Situationen erleben. Es ist ratsam in der eigenen Biografie nachzuschauen, wann diese Gefühle aufgetreten sind, und ob du vielleicht jetzt in deiner eigenen Mutterschaft Parallelen empfindest.
Begleitend können hier ebenfalls Übungen aus der kognitiven Verhaltenstherapie genutzt werden. Diese Übungen helfen dir, gesündere Bewältigungsstrategien zu entwickeln und deine emotionalen Reaktionen zu regulieren.
Soziale Unterstützung
Der Austausch von Erfahrungen und Emotionen mit anderen Müttern in ähnlichen Situationen kann äußerst entlastend sein. In Eltern - oder Selbsthilfegruppen können Herausforderungen geteilt und praktische Ratschläge von "Leidensgenossen" eingeholt werden. Gleiches gilt natürlich für einschlägige Online-Foren bei entsprechender online Kompetenz.
Oder vertraue dich jemandem an, der dich nicht verurteilen wird. Dies kann eine enge Bezugsperson sein oder ein in diesem Bereich ausgebildeter Psychologe, der dir bei der Bewältigung deiner emotionalen Belastungen hilft.
Fazit: Wütende Mütter sind keine schlechten Mütter
Momrage ist ein normaler und weit verbreiteter Aspekt der Mutterschaft in unterschiedlichen Lebensphasen. Diese Art von Wut weist nicht auf eine mangelnde elterliche Kompetenz hin, sondern ist ein Teil der komplexen emotionalen Realität der Elternschaft. Es gilt die Auslöser der Wut zu identifizieren, möglichst frühzeitig gegenzusteuern und durch erlernte Bewältigungsstrategien Schaden von sich selbst und anderen abzuwenden.
Betroffene Mütter sollten probieren, eine oder mehrere Bewältigungsstrategie(n) für sich selbst zu finden. Mit den oben beschriebenen Methoden kann Momrage in Schach gehalten und so die Mutter-Kind-Beziehung stabilisiert und geschützt werden - ebenso wie das familiäre Umfeld und die Mutter selbst.
Ist eine Strategie gefunden, bedeutet das natürlich nicht, dass die Mutter alles über sich ergehen lassen sollte. Gerechtfertigte Kritikpunkte an Partner, Kind oder sonstigen "triggernden" Personen dürfen kommuniziert werden – hier aber ist bedachte und konstruktive Kommunikation in einem ruhigen Moment schlichtweg effektiver.
Abschließend möchte ich in diesem Zusammenhang noch darauf hinweisen, dass wir uns alle von dem Gedanken verabschieden sollten, dass mütterliche (weibliche) Wut "unziemlich" ist. Unsere Gesellschaft steht wütenden Frauen meist immer noch skeptisch gegenüber (insbesondere wütenden Müttern, die doch eigentlich glücklich sein sollten). Erst langsam zeichnet sich mehr gesellschaftliche Akzeptanz hierfür ab.
In meiner psychologischen Praxis stehe ich dir zur Verfügung, um dich auf deinem Weg zur Bewältigung von Momrage zu unterstützen – denn die Betreuung von Müttern liegt mir besonders am Herzen.
Ressourcen im Internet
La Strada - Der Weg ist ein Südtiroler Verein, der Ressourcen für Familien in Gewaltsituationen und niedrigschwellige Unterstützung bei Momrage anbietet.
Die Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Frauenheilkunde und Geburtshilfe (DGPFG) bietet Informationen und Ressourcen zur psychischen Gesundheit von Müttern, einschließlich der Bewältigung von mütterlicher Wut.
In dem Online-Forum von Netmoms können Mütter Erfahrungen und Ratschläge zu verschiedenen Themen, einschließlich mütterlicher Wut, austauschen.
Dieser online Eltern-Ratgeber bietet eine Vielzahl von Artikeln und Ressourcen zur Unterstützung von Eltern in verschiedenen Lebenssituationen, einschließlich des Umgangs mit mütterlicher Wut.
Das Müttergenesungswerk (MGW) bietet Programme und Unterstützung für Mütter zur Verbesserung ihrer physischen und psychischen Gesundheit.
Weitere Ressourcen rund um das Thema Wut für Eltern (Bücher, Produkte)
Ein bisher nur auf englisch verfügbares Buch zu dem Thema ist "Anger Management for Parents - It’s Not The Kids, It’s You!: Master Your Anger and Transform Your Home! Understand Triggers, Embrace Emotions, and Nurture a Loving and Harmonious Family" von Mathew Grand. Dies ist hier erhältlich.
Ein englisches Workbook zu dem Thema Momrage ist "Anger Management Workbook for Moms: Practical Exercises to Manage Your Emotions and Find Calm" von Lena Suarez-Angelino. Dies ist hier erhältlich.
Gute Erziehungsratgeber bei willensstarken Kindern sind "Starke Kinder Starke Eltern: Selbstvertrauen aufbauen und Selbstbewusstsein stärken bei Kindern..." von Ina Beck (hier erhältlich) und "Nein aus Liebe: Klare Eltern - starke Kinde" von Jesper Juul (hier erhältlich).
Ein Buch für Mütter mit schneller Reizüberflutung aufgrund von Hochsensibilität ist "Hochsensibel Mama sein - das Ressourcen Buch" von Kathrin Borghoff (hier erhältlich)
Eine Patientin mit akustischer Reizüberflutung bei ihren Kindern berichtet begeistert von den Experience Ohrstöpsel der Firma Loop, die hier erhältlich sind.
Ein guter Ratgeber für Mütter zum Thema Achtsamkeit und Meditation ist "Immer locker bleiben, Mama! Mit Achtsamkeit zu mehr Me Time, Entspannung und Glück im Familienalltag" von Katharina Rosenthal (hier erhältlich).
Hinweis: Die o.g. Bücher und Produkte enthalten Amazon Affiliate Links.
Comentarios